Das Grundproblem der Demokratie: Die Inaktivität des Demos
Man könnte vielleicht meinen, dass mächtige “special interest groups” (SIGs) wie die üblichen Verdächtigen der internationalen Großbanken und –konzerne und deren oftmals sehr einflussreiche Lobbyisten das
Grundproblem schlechthin für die Umsetzung von Demokratie – d.h. der Herrschaft (kratos) des Volkes (demos)
– darstellen. Andere würden wiederum die ebenfalls sehr gewichtige staatliche Unterdrückung in manchen Ländern anführen. Wie der aktuelle Fall und Status von Roland Düringers politischer Bewegung
Gilt bzw. G!lt erneut zeigt, gibt es jedoch zumindest in wohlsituierten Ländern wie Österreich ein noch viel größeres Demokratiehindernis in Form
der Inaktivität des demos. Im Folgenden eine Ausführung dazu.
Düringers Gilt-Bewegung
Grundsätzlich gilt, dass neue politische Parteien oder “Partien” wie Gilt in Österreich gemäß §42.2 der Nationalrats-Wahlordnug mindestens 2600 Unterstützungserklärungen
von Wahlberechtigten oder 3 Unterstützungserklärungen von Nationalratsabgeordneten erhalten müssen, um für Nationalratswahlen antreten zu können. Der Partieobmann Düringer hat mehrfach erklärt,
die zweite Option auszuschließen – wohl auch, weil es bei über 5000 Likes auf Facebook und auf Grund der allgemeinen Popularität Düringers nicht schwer sein sollte, im Zeitraum vom 25. Juli bis
kurz vor 18. August die notwendigen 2600 Unterstützungserklärungen zu erhalten.
Erfolgreiche Präzedenzfälle im Europa der letzten Jahre gab es darüber hinaus auch schon: In Italien hat der Kabarettist Beppo Grillo mit seiner neugegründeten 5-Sterne-Bewegung auf Anhieb nahezu unglaubliche 25% bei den nationalen Parlamentswahlen im Jahr 2013 erzielt. Noch extremer ist der Fall des isländischen Komikers Jón Gnarr, der die reine Spaßpartei “die Beste Partei” gegründet hat, lange Zeit gar kein ernstzunehmendes Wahlprogramm hatte, und 2010 mit 34.7% der Stimmen dennoch zum Bürgermeister der Hauptstadt Reykjavík gewählt worden ist. Das Überschreiten der 4% Hürde für den Einzug in den österreichischen Nationalrat erscheint im Vergleich dazu als geradezu gottgegeben.
Auch über mangelnde Präsenz in den Medien und damit mangelnde Bekanntheit in der Bevölkerung, einer der Hauptgründe für den Untergang von neuen politischen Bewegungen, kann die von Roland Düringer gegründete Gilt-Partie keinesfalls klagen, da Düringer in den letzten Wochen und Monaten fortlaufend in den bekanntesten Bild- und Printmedien des Landes zu Gilt interviewt wird. Spenden und Darlehen hat Gilt bislang ebenfalls erhalten, konkrete Überlegungen zum Wie bzw. zu einem alternativen System der Entscheidungsfindung (genannt “offene Demokratie“) sowie auch zum Was des Parteiprogramms (in Kurzform das Gilt-Partiebuch, in Langform Düringers Buch “Meine Stimme G!lt”) im Rahmen dessen Düringer der üblichen links versus rechts Aufteilung und -spaltung schlauerweise eine klare Absage erteilt, gibt es genauso.
Auch die klare Absage an Parteien und Parteipolitik – darum auch die Selbstbezeichnung “Partie” – sollte als grundlegende Idee gewaltige Zugkraft haben. Das eigentlich sehr noble Motiv, für andere Menschen und deren Interessen als “Taxler” zum Parlament zu fungieren – Düringer selbst sowie auch sein “erster Hackler” Walter Naderer würden im Falle eines Einzugs von Gilt in den Nationalrat kein Mandat erhalten – ist ebenfalls honorierungswürdig.
Grundproblem Inaktivität
Woran also könnte die aus der Sicht des Autors sowie scheinbar auch aus der Sicht von Peter Pilz vielversprechende Gilt-Bewegung oder auch andere aufkeimende, pro-demokratische politische Bewegungen sowie Demokratie im Allgemeinen scheitern? Woran in dem Fall Gilt und das dahinterliegende Potential für mehr oder verbesserte Demokratie scheitern würde wären weder ‘böseʼ Banken und Konzerne, noch ein repressiver Staat noch manipulative Massenmedien. Der Grund wäre vielmehr derjenige, dass es das demos scheinbar wieder einmal einfach nicht schafft, “seinen Hintern in die Höhe zu bringen”, um es in den Worten Düringers zu sagen.
Gemäß momentanem Stand der Dinge sind von den 2600 benötigten Unterstützungserklärungen für Gilt im Zeitraum vom 25. bis 31.7. bislang nämlich erst 392 eingetroffen. Hochgerechnet auf den Abgabetermin am 18.8. und bei gleichbleibender Tendenz hieße das, dass Gilt nur rund die Hälfte der benötigten Unterschriften erhalten wird, in keinem Bundesland zur Nationalratswahl antreten kann und das Gilt-Experiment dann voraussichtlich beendet sein wird – und das zu einem Zeitpunkt, wo die Vertreter der beiden Hauptsystemparteien SPÖ und ÖVP bei den letzten Bundespräsidentenwahlen nicht mehr als jeweils 11% eingefahren haben.
Prognose und Konklusion
Meine diesbezügliche Prognose ist, dass die Gilt-Partie so oder so als demokratiepolitisches Lehrstück in die Geschichte eingehen wird: Wenn genug
Wahlberechtigte das demokratische und sonstige Potential von Gilt noch – rechtzeitig – erkennen und mit ihren Unterstützungserklärungen und Stimmen unterstützen sollten, dann wäre etwas ganz
Großes im zweistelligen Prozentbereich und so wie in Italien oder Island möglich. In Anbetracht einer unter den Menschen international weit verbreiteten politischen Unkultur, im Rahmen derer man
sich weitestgehend auf ein Aufregen über ‘die Politik und Politikerʼ beschränkt, selbst nicht mitmacht, und sich dann auch noch allen Ernstes über diverse Entscheidungen und den Mangel an Demokratie wundert, und auch, da es sich hierzulande um das
oftmals recht verschlafene Österreich handelt, ist es zum momentanen Zeitpunkt jedoch wahrscheinlicher, dass auch das demokratische und sonstige Potential von Gilt verschlafen wird, und Gilt eher
als so etwas wie ein weiterer Beweis für die relative Inaktivität und die dadurch zwangsläufig bedingte relative Demokratieunfähigkeit des demos in die
Geschichte eingehen wird.
Aber man kann mich diesbezüglich gerne eines Besseren belehren indem man oder frau zur Abwechslung einmal tatsächlich seinen oder ihren Hintern in die Höhe kriegt, die ein oder andere politische
und demokratische Bewegung mit Unterstützungserklärungen oder sonstwie aktiv unterstützt, und sich so an einer noch möglichen großen Überraschung und gemäß “Es gibt nichts Gutes, außer man tut
es” selbst beteiligt. Nur Aufregen oder reine
Teilnahmslosigkeit und sich dann über ‘Vor der Wahl ist nach der Wahlʼ-Zustände wundern (siehe vor allem die Kurz ÖVP) war jedenfalls gestern.
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